KLASSIK
CDs
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Johann Sebastian Bach
ENGLISCHE SUITEN1+ 3 + 5
Piott Anderszewski
Warner CD_______________________________ (67’)
Nach einem
1 4
-monatigen Sabbati-
cal meldet sich der Pianist Piotr
Anderszewski mit einem neuen
Bach-Album zurück. Bereits
2000
spielte er eine viel beachtetete CD
mit drei Bach’schen Partiten ein,
welcher der englische „Guardian“
seinerzeit „atemberaubende Über-
zeugungskraft“ attestierte. Eine
Charakterisierung, die sich ohne
Abstriche auf seine Deutung der
noch komplexer und virtuoser kon-
zipierten „Englischen Suiten“ über-
tragen lässt.
Anderszewski gelingt hier das
Kunststück, die zwingende moto-
rische Kraft von Glenn Gould mit
dem klanglichen Nuancenreichtum
von Wilhelm Kempff zu vereinen. Er
Franz Schubert, Robert Schumann u. a.
PORTRAITS
Dorothea Röschmann, Malcom Martineau
Sony CD_________________________________ (69)
Ein Allerweltstitel „Portraits“ und
eine zunächst arg populistisch an-
mutende Auswahl mit bekannten
Werken von Schubert, Schumann,
Strauss und Wolf. Doch die ers-
te Solo-CD von Dorothea Rösch-
mann seit
2000
offenbart bei nä-
herer Betrachtung ihre Sinnhaftig-
keit, ja auch sinnliche Klanglich-
keit. Unter den sensibel gestalten-
den Klavierhänden von Malcom
Martineau werden hier Frauenbil-
der Wirklichkeit, sogar „bezau-
bernd schön“, die Reife und Erfah-
rung einer Stimme offenbaren, die
den opaken Schimmer ihrer fein la-
cierten Mädchenhaftigkeit noch er-
ahnen lässt.
Bru
gestaltet die Suiten klanglich mit
einer Expressivität, die tief in der
Romantik wurzelt. So lässt sich aus
seinem Bach durchaus heraushö-
ren, dass er auch ein Chopin-Spie-
ler von Weltrang ist. Allerdings ro-
mantisiert Anderszewski Bach nicht
auf eine sinfonisch dramatisieren-
de Weise im Stile der Busoni-Schu-
le, sondern agiert mit einer farbli-
chen und dynamischen Feindiffe-
renzierung, die sich bevorzugt im
Leisen abspielt. Dabei bleibt sein
Spiel stets phänomenal transpa-
rent. Anders als Glenn Gould, der
vor allem in den bewegteren Stü-
cken bei Bach das Nonlegato-Spiel
favorisiert, gestaltet Anderszewski
immer wieder einzelne melodische
Linien in wunderbar kantablem Le-
gato. In der Wahl der Tempi mei-
det er die Extreme, spielt die lang-
samen Sätze fließend und verzich-
tet auf etüdenhafte Raserei in den
flotteren Gigues.
Bleibt hinzuzufügen, dass auch
die Aufnahmetechnik ganze Ar-
beit geleistet hat und den Flügel in
natürlichen Farben mit nur wenig
Nachhall ins Wohnzimmer bringt.
Mario-Felix Vogt
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
** Motitf*
VISIONS FUGITIVES
Anna Gourari
ECM/Universal CD________________________ ß T )
In den „Visions fugitives“ (zu
Deutsch: flüchtige Visionen) wählt
Prokofjew gegenüber seinen bis-
sig-sarkastischen Frühwerken ei-
ne gemäßigte, bisweilen fast im-
pressionistisch anmutende Ton-
sprache. Anna Gourari interpre-
tiert diese musikalischen Aphoris-
men auf Basis einer hochentwickel-
ten Pianistk als echte Charakterstü-
cke. Mal gibt sie die Hexe, ein an-
dermal ist sie die Verführerin. Auch
Chopins berühmte h-Moll-Sonate
meistert sie souverän: majestätisch
und feierlich der Kopfsatz und als
berührend nostalgischer Gesang
das Largo.
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KLAVIERQUINTETTE
Menahem Pressler, Quatuor Ébène
Erato/Warner CD
(75')
Mit den ersten Takten des Dvorak-
Quintetts öffnet Menahem Press-
ler das Fenster zu einer lichten At-
mosphäre. Und dieser himmlische
Glanz bleibt erhalten: mal als mildes
Hintergrundleuchten, wenn die Ébè-
nes ihr jugendliches Temperament
ausspielen, mal im Vordergrund,
wie im Variationssatz des „Forel-
len-Quintetts“. Dann glimmert’s und
glitzert’s, als käme zum Lichtspiel
noch ein sanft gluckerndes Wasser-
spiel hinzu. Und weil Pressler mit
seinem Klang so nahe an die Weich-
heit des Streichertones herankommt
wie kein Pianist sonst, ist die Verbin-
dung zwischen Jung und Alt hier aufs
Schönste gelungen.
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DOMINGO
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Diverse Komponisten
ENCANTO DEL MAT -
PLACIDO DOMINGO SINGT
MEDITERRANE LIEDER UND SONGS
Sony CD_________________________________ (48)
Auf dem Cover seiner neuen Cross-
over-CD wirkt er wie auf Ernest He-
mingway hin gestylt. Und das nicht
ohne Absicht, hört das Album doch
auf den Titel „Encanto del Mar“. Der
alte Mann und das Meer also. Der
alte junge Mann. Denn ein bisschen
ist es bei Placido Domingo wie bei
Rossinis Figaro (den er vor Jahren
unter Claudio Abbado aufnahm):
Domingo qua, Domingo la, Domingo
su, Domingo giu; als Sänger, als Di-
rigent, als Operndirektor (der Häu-
ser in Los Angeles und Washington),
als Spiritus rector seines Gesangs-
wettbewerbs „Operalia“.
Dass der (zumindest) Mittsiebzi-
ger dies alles noch schafft, ist seiner
erstaunlichen energetischen Dis-
position zuzuschreiben. Das Faktum
wiederum, dass er auf seinem neu-
en Recital frischer klingt als man-
cher entschieden Jüngere, hat mit
seiner Gesangstechnik zu tun, die
wohl auf Manuel Garcias bewährte
Methode zurückgeht und vor allem
das flexible Singen sul fiato - auf
dem Atem - nutzt, nicht etwa den
(Stau-)Druck. Dies bestätigt sich
eben auch in „Encanto del Mar“,
wo er zwar dem Cross-over huldigt,
aber doch oft opernhaft aussingt,
nicht etwa ins Mikrophon beißt.
Es sind mediterrane Lieder und
Songs, vor allem aus dem lateini-
schen Bereich, aber auch Schöp-
fungen von Georges Moustaki, Mor-
dechai Zeira und anderen, sowie
andalusische, katalanische, ladi-
nische und zypriotische Volkswei-
sen. Dabei betten ihn jeweils aus-
gewählte Instrumentalisten und ge-
legentlich Vokalisten in gefühlvoll
gewebte Musikteppiche. Und es
findet sich auch ein Kuriosum da-
runter: der Song „Aranjuez“, den
Daniel Barnidge und Alfredo Gar-
cfa Segura auf der Folie von Joa-
qufn Rodrigos „Concierto de Aran-
juez“ kreierten. Why not.
Gerhard Persche
MUSIK
KLANG
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142 STEREO 1/2015
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